Laudatio und Danksagung
Laudatio auf Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult.
Hansjörg Sinn, Clausthal-Zellerfeld,
anlässlich der Verleihung der Joachim Jungius-Medaille.
Von Prof. Dr. Walter Kaminsky, Hamburg
Herr Präsident, Herr Staatsrat, sehr verehrter lieber Herr Sinn, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Gemäß Satzung verleiht die Joachim Jungius-Gesellschaft
der Wissenschaften die Joachim Jungius-Medaille "Zur Würdigung
herausragender Leistungen in Wissenschaft und Forschung".
Heute kommt diese hohe Ehrung auf Beschluss von Vorstand und Mitgliederversammlung
HANSJÖRG SINN zu, einem Wissenschaftler, der - wie kaum ein
anderer - wissenschaftliche Exzellenz mit großem Engagement
für fachübergreifende Wissenschaft und Hochschulförderung
verknüpft hat. Als Chemiker und Lehrer hat er der Wissenschaft
auf dem Gebiet der technischen und makromolekularen Chemie ein
Leben lang gedient, hat Maßstäbe im In- und Ausland
gesetzt und nachhaltig die Universität als letzter Rektor
und erster Vizepräsident sowie die Freie und Hansestadt Hamburg
als Senator für Wissenschaft und Forschung geprägt.
Möglich wurde ihm dies durch klares analytisches Denken,
Erfassung des Wesentlichen und prägnante Formulierungen.
Für mich als sein Schüler ist es eine große Freude
und Ehre, hier eine kurze Würdigung des Wissenschaftlers
Hansjörg Sinn vornehmen zu dürfen. Es ist nicht nur
die langjährige Zusammenarbeit im Institut für Technische
und Makromolekulare Chemie und die Ehrung durch gemeinsam erhaltene
Preise, sondern auch eine tiefe, persönliche Freundschaft,
die uns verbindet.
Hansjörg Sinn, geboren am 20. Juli 1929 in Ludwigshafen/Pfalz,
begann 1948 das Studium der Chemie und Physik in Mainz. Nach dem
Vordiplom führte er das Studium in Innsbruck, Bonn und Braunschweig
fort. 1956 promovierte er bei F. Bohlmann und H.H. Inhoffen in
Braunschweig mit dem Thema "Studien an Acetylen-Systemen".
Nach dem von Inhoffen veranlassten Wechsel an die TU München
habilitierte er sich 1963 bei Franz Patat über "Living
polymers und Ziegler-Katalyse" und wurde 1963 zum Privatdozenten
ernannt. Während dieser Zeit heiratete er. Mit seiner Frau
Margrit hat er zwei Söhne.
Danach folgte eine zweijährige Tätigkeit und Praxiserfahrung
in der BASF im Ammonlabor mit der Aufgabe, die Nitroseabsorption
und die Salpetersäurebildung zu optimieren. Von hier wurde
er 1965 auf den Lehrstuhl für Angewandte Chemie an die Universität
Hamburg als Nachfolger von Janzen berufen. Berufungen an die Technischen
Universitäten Dortmund (1968) und München (1972) lehnte
er nach reiflicher Überlegung zugunsten Hamburgs ab.
Das wissenschaftliche Werk Hansjörg Sinns umfasst zwei Schwerpunkte.
Ausgehend von der Habilitation, wurden die Untersuchungen der
metallisch initiierten Polyreaktionen fortgeführt und ausgebaut.
Neu aufgenommen wurde die Pyrolyse von Kunststoffen und Altreifen.
Seine innovativen Leistungen auf diesen Gebieten sind beispielhaft
und in Diplom- und Doktorarbeiten, zahlreichen Veröffentlichungen
und Patenten dokumentiert. Als Lehrer und Forscher sieht er eine
wesentliche Aufgabe darin, dass der auszubildende Chemiker erlernt,
die ihn umgebende Welt analysierend zu erkennen, synthetisierend
zu verändern und Folgewirkungen vorauszusehen.
Stets zeigen seine Arbeiten neben einer systematischen Grundlagenforschung
auch einen engen Bezug zum allgemeinen Nutzen und zur industriellen
Anwendung. So bereicherte Hansjörg Sinn die Herstellung von
Polyolefinen, die zur Zeit am stärksten wachsenden Kunststoffe,
durch das Auffinden eines neuen, hochaktiven Katalysatorsystems
auf der Basis von Methylaluminoxan/Metallocen. Dieses Katalysatorsystem,
heute weltweit immer noch intensiv erforscht, findet zur Zeit
Eingang in industrielle Großprozesse. Sein besonderes Interesse
galt und gilt auch heute noch der nicht abgeschlossenen Aufklärung
der komplexen Struktur des Methylaluminoxans.
Schon früh, für vieles wie z.B. Patente zu früh,
erkannte er die Grenzen der Ressourcen und die Bedeutung des Recyclings
für den Umweltschutz. Mit der in einem Aufsatz niedergeleg-ten
Überlegung "... hätte die Menschheit anstelle von
Kohle und Erdöl im Boden eine Substanz mit der mittleren
Zusammensetzung der derzeitigen Kunststoffproduktion gefunden,
wäre auch auf dieser Basis eine Petrochemie aufgebaut worden..."
begannen 1970 die Arbei-ten zur Pyrolyse von Kunststoffabfällen
mit dem Ziel, daraus Gas und Öl zu gewinnen. Heute haben
bei hohen und möglicherweise noch steigenden Rohölpreisen
große Konzerne dieses Konzept wieder aufgegriffen und sehen
darin die beste Möglichkeit, Rohstoffreserven nachhaltig
zu schonen und die zunehmende Menge an Kunststoffabfällen
sinnvoll zu verwerten.
Studenten fanden bei Hansjörg Sinn stets persönlichen
Zuspruch und konstruktiven Rat, wobei auch über allgemeine
Probleme bis spät in den Abend diskutiert wurde. Fest in
der Erinnerung bleibende Exkursionen in Großforschungseinrichtungen
und Chemiebetriebe verringerten den Abstand zwischen Lehrer und
Lernenden. Eine große Schar von noch mit ihrem Lehrer verbundenen
Sinn-Schülern hat zum großen Teil Führungspositionen
in der Industrie und im Staatsdienst eingenommen. Mehrere seiner
Schüler haben habilitiert und lehren oder lehrten an deutschen
Universitäten.
Es war und ist besonderes Anliegen von Hansjörg Sinn, die
Gebiete der technischen und makromolekularen Chemie in Hamburg
zu verankern und zu festigen. Durch Spenden der Industrie konnte
die Abteilung vergrößert und konnten zusätzliche
Kollegen berufen werden. Der Neubau 1985 und die Verselbständigung
als eigenständiges Institut schlossen diese Bemühungen
ab.
Ganz zweifellos hat sich jedoch Hansjörg Sinn besonders um
die Universität und die Hansestadt Hamburg durch seine hochschulpolitischen
Aktivitäten verdient gemacht. Als letzter Rektor der Universität
setzte er 1969 seine kreativen und ausgleichenden Fähigkeiten
dafür ein, die weit auseinander gedrifteten Gruppen zu versöhnen
und zu sachlicher Auseinandersetzung zurückzuführen.
- Es war daher kein Wunder, dass er nach Einführung der Präsidialstruktur
mit überwältigender Mehrheit zum Vizepräsidenten
gewählt wurde. In der Folgezeit setzte er sich intensiv für
die Neugründung einer technischen Universität in Harburg
ein, zu deren erstem Gründungspräsidenten er berufen
wurde. Dieses Amt konnte er jedoch nicht lange wahrnehmen, da
er 1978 überraschend als Parteiloser zum Senator für
Wissenschaft und Forschung berufen und gewählt wurde. Er
füllte dieses Amt zum Wohl für Bildung und Wis-senschaft
der Hansestadt sechs Jahre lang aus. In diese Zeit fallen die
Grundsteinlegungen verschiedener Universitätsbauten, Bauabschnitte
der TU Hamburg-Harburg, der Bau von HERA, zahlreiche Neu-Berufungen
und Mittelverbesserungen für die Universität.
Bei einem solchen wissenschaftlichen und hochschulpolitischen
Engagement blieb die Berufung in weitere Gremien nicht aus. Fünf
Jahre, von 1971 bis 1976, war er Mitglied des Wissenschaftsrates,
davon drei Jahre Vorsitzender der Wissenschaftlichen Kommission;
von 1985 bis 1991 wurde er erneut in den Wissenschaftsrat berufen.
Er war Mitglied der Bürgerschaft-lichen Enquête-Kommission
"Technische Hochschuleinrichtungen", Vizepräsident
der Deutschen Gesellschaft für chemisches Apparatewesen,
chemische Technik und Biotechnologie (DECHEMA), Mitglied des Rates
von Sachverständigen für Umweltfragen, des Vorstandes
der Gesellschaft Deutscher Chemiker, des Präsidiums des Vereins
Deutscher Ingenieure (VDI), und des Senats der Fraunhofer-Gesellschaft.
Mit dem ihm eigenen Sachverstand und Einfühlungsvermögen
wurde er maßgeblich an der Evaluierung der Akademieinstitute
in den neuen Bundesländern beteiligt. Er gehörte den
technisch-wissenschaftlichen Beiräten der GKSS in Geesthacht
und des Instituts für Polymerforschung Dresden (IPF) an und
war jeweils zum Vorsitzenden gewählt worden.
Bei dieser Fülle intensiven Wirkens verwundert es nicht,
dass Hansjörg Sinn Mitglied und Ehrenmitglied vieler wissenschaftlicher
Gesellschaften ist. Die Joachim Jungius-Gesellschaft berief ihn
zum Mitglied, die Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz
berief ihn zum korrespondierenden Mitglied; der Verein deutscher
Ingenieure, die DECHEMA und der Verein zur Förderung der
Wasserstofftechnologie ernannten ihn zum Ehrenmitglied. Es wurden
ihm zahlreiche Ehrungen zuteil: Eiserne Von-Melle-Medaille der
Universität Hamburg für Lehre und Forschung; die Grüne
Rosette und den Körberpreis für die Europäischen
Wissenschaften, die Alwin-Mittasch-Medaille der DECHEMA, den Walter
Ahlström-Preis der Finnischen Akademien, die Hermann Staudinger-Medaille
der Gesellschaft Deutscher Chemiker, die Grashof-Denkmünze
des Vereins deutscher Ingenieure und die Bürgermeister Stolten-Medaille
der Freien und Hansestadt Hamburg. Der Zentralausschuß der
Hamburger Bürgervereine verlieh ihm den "Portugaleser
Bürger danken in Silber". Die TU Hamburg-Harburg
verlieh ihm den Dr. Ing. Ehrenhalber, die TU Clausthal die Ehrendoktorwürde.
Nach seiner Emeritierung 1995 hat er sich weiter intensiv - jetzt
freier von vielen Ämtern - der Aufklärung der chemischen
Struktur und Wirkung des Methylaluminoxans gewidmet. Die plötzliche
und schwere Erkrankung und der Tod seiner Frau Margrit vor 3 Jahren
hat ihn tief erschüttert und ihn zum Umzug nach Clausthal-Zellerfeld
bewogen.
Mit Hansjörg Sinn ehrt die Joachim Jungius-Gesellschaft eine
herausragende Hochschullehrerpersönlichkeit, die nicht nur
in Lehre und Forschung, sondern auch im hochschulpolitischen Bereich
Außergewöhnliches geleistet hat. Ihn zeichnet wissenschaftliches
Interesse, fachliches Können, schnelle Auffassungsgabe und
breite Gelehrsamkeit ebenso aus wie Verständnis für
seine Mitmenschen und persönliches Engagement in allen Dingen,
die er aufgreift.
In seinem kleinen Labor in der TU Clausthal bearbeitet er zur
Zeit noch offene Fragen seiner Forschung. Hierfür und für
die Zukunft wünschen wir ihm Gesundheit und Schaffenskraft
und alles Gute und Freude in der Familie, mit den Söhnen
und Bekannten.