Danksagung
von Professor Dr. med. Gerhard Seifert
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Die Verleihung der Joachim Jungius-Medaille erfüllt mich
auch im Hinblick auf die Persönlichkeiten, die seit 1959
mit dieser Ehrung ausgezeichnet worden sind, mit großer
Dankbarkeit und Freude zugleich.
Mein ganz besonderer Dank gilt Ihnen, Herr Präsident und
den Mitgliedern des Präsidiums der Joachim Jungius-Gesellschaft
der Wissenschaften dafür, daß Sie diese hohe Auszeichnung
einem Mediziner haben zukommen lassen. Als ich vor über 50
Jahren den Entschluß faßte, Pathologe zu werden, ahnte
ich noch nicht, daß diese Entscheidung eine Passion bedeutete.
Allerdings hat bereits der eher kritisch eingestellte FRIEDRICH
NIETZSCHE die Auffassung vertreten: Ein Beruf ist das Rückgrat
des Lebens".
Mein spezieller Dank gilt Herrn Professor Dr. LENNERT, der in
meisterlicher Sprache meine Person gewürdigt, meine zahlreichen
Fehler und Schwächen jedoch diskret verschwiegen hat. Allerdings
wird eine Laudatio in der Regel in einer Sprache der Superlative
vorgetragen. Daher möchte ich mit aller Bescheidenheit eindringlich
feststellen, daß mit einer Ehrung niemals das Verdienst
eines Einzelnen ausgezeichnet wird, sondern immer auch ein Kreis
von Menschen, ohne deren Mitwirkung eine solche Ehrung nicht möglich
wäre. Die Dichterin MARIE VON EBNER-ESCHENBACH hat diesen
Sachverhalt in einem ihrer Aphorismen so zum Ausdruck gebracht:
Nichts bist Du, nichts ohne die anderen". So denke
ich in diesem Augenblick in Dankbarkeit besonders an meine akademischen
Lehrer, meine 24 Habilitanden, die mich während meiner Amtszeit
in Hamburg immer wieder durch hilfreiche Kritik angespornt haben,
und an meine liebe Frau als stets treusorgende Gattin.
Zu dieser Danksagung kommt hinzu, daß wir alles in unserem
Leben einer gütigen Fügung verdanken, wie es in den
Sprüchen SALOMOS (Vers 16,9) ausgedrückt wird: Des
Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg, aber der Herr allein lenkt
seinen Schritt". Gestatten Sie mir, an diesem für mich
denkwürdigen Tag eine allgemeine Betrachtung über das
Wesen der Wissenschaft anzustellen. Ich zitiere zunächst
einige Gedanken großer Wissenschaftler.
Der Nobelpreisträger MAX PLANCK stellt fest:
Die Endlosigkeit des wissenschaftlichen Ringens sorgt unablässig
dafür, daß dem forschenden Menschengeist seine beiden
edelsten Antriebe erhalten bleiben und immer wieder von neuem
angefacht werden: Die Begeisterung und die Ehrfurcht".
Und der Friedensnobelpreisträger ALBERT SCHWEITZER
Arzt, Musiker und Schriftsteller in einer Person sagt:
Die Wissenschaft, richtig verstanden, heilt den Menschen
von seinem Stolz: denn sie zeigt ihm die Grenzen".
Noch weiter geht der englische Physiker und Mathematiker ISAAC
NEWTON mit seiner Formulierung:
In der Wissenschaft gleichen wir alle nur den Kindern, die
am Rande des Wissens hie und da einen Kiesel aufheben, während
sich der weite Ozean des Unbekannten vor unserem Auge erstreckt".
Nach diesen Zitaten über die Wissenschaft möchte ich
einige Überlegungen zum Stellenwert der Wissenschaften in
unserer Zeit wiederholen, die ich in meiner Eröffnungsrede
zur Jahresversammlung der Joachim Jungius-Gesellschaft im Spiegelsaal
des Museums für Kunst und Gewerbe am 20. November 1992 vorgetragen
hatte. Ich habe es als ein Gebot der Stunde angesehen, daß
Geistes- und Naturwissenschaften aufeinander zugehen und miteinander
einen Dialog pflegen, der in gleicher Weise die Erkenntnisse der
modernen Naturwissenschaften mit den strengen Anforderungen der
Geisteswissenschaften verbindet. Gestatten Sie mir, aus meinen
damaligen fünf Thesen einige Punkte kurz anzuführen:
1. These: Die Freiheit der Wissenschaften ist nicht unbegrenzt.
Vielmehr wird die Handlungsfreiheit des Wissenschaftlers durch
drei elementare Gegebenheiten begrenzt: Die Gesetze der Ethik
und Moral, die zur Verfügung stehenden Ressourcen und die
Behinderung durch administrative und bürokratische Vorgaben.
2. These: Wagnis und Risiko gehören zum Wesen der Wissenschaft.
Seit Prometh-eus und Ikarus wissen wir, daß Erkenntnis auch
Gefahren mit sich bringt. Diese Gefahren lassen sich nicht durch
Wissenschaftsangst überwinden, sondern nur durch eine bessere
Kenntnis ihrer Ursachen, und somit durch mehr, und nicht durch
weniger Wissenschaft lösen. Gefährlich ist das Halbwissen,
wie es auch in einem GOETHE-Zitat zum Ausdruck kommt: Toren
und gescheite Leute sind gleich unschädlich. Nur die Halbnarren
und Halbweisen, das sind die gefährlichsten".
3. These: Die Wissenschaften unterliegen den Gesetzen der Komplementarität.
Segen und Risiko lassen sich nicht voneinander trennen. Der Dualismus
ist ein Urprinzip der Evolution und Philosophie. Zwischen Analyse
und Synthese, Ordnung und Chaos, Rechten und Pflichten, liegt
ein weites Spannungsfeld von Interaktionen.
4. These: Die Wissenschaft prägt unser Weltbild. Ohne näher
auf die einzelnen Zeitepochen einzugehen, möchte ich nur
die neurobiologische Wende des Weltbildes durch die Neurowissenschaften
erwähnen. Es muß einen schon nachdenklich stimmen,
wenn gegenwärtig zu einem Weltkongreß für Neurowissenschaften
mehr als 35.000 Wissenschaftler zusammengeströmt sind. Die
Sichtbarmachung von Prozessen wie Wahrnehmen, Denken, Vorstellen,
Erinnern und Verstehen mit den Methoden der Neurobiologie haben
zu der Vorstellung geführt, daß molekulare Umstrukturierungen
im komplexen System des neuralen Netzwerkes vorliegen.
5. These: Die Wissenschaft ist ein immanenter Bestandteil der
menschlichen Gesellschaft und besitzt eine völkerverbindende
Funktion. Hieraus ergibt sich die Frage nach den Beweggründen
für wissenschaftliches Handeln. FRANZ WEINERT vom Max-Planck-Institut
für Psychologische Forschung in München hat in einem
Aufsatz gefragt, ob Wissenschaftler auch Menschen sind und darauf
die Antwort gegeben: Die Beweggründe von Wissenschaftlern
sind im allgemeinen weder übermenschlich, wie manche Glorifizierungen
glauben lassen, noch unmenschlich, wie viele Kritiker behaupten,
sondern in der vielfachen Bedeutung dieses Ausdruckes zutiefst
menschlich".
Wissenschaft als Lebensform ist durch Neugierde, Wissensdurst,
Erkenntnisdrang und Engagement gekennzeichnet. Die Faszination
der Forschung und wissenschaftlicher Erfolg vermitteln Freude
und subjektive Befriedigung.
Mit meinem Epilog über die Wissenschaft und meiner Danksagung
an die Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften verbinde
ich die Hoffnung und Zuversicht, daß die Umwandlung der
Jungius-Gesellschaft in eine Akademie der Wissenschaften trotz
angespannter Ressourcen einen nach wie vor richtigen Schritt in
die Zukunft der Wissenschaftslandschaft im norddeutschen Raum
darstellt.