Laudatio und Danksagung
Laudatio auf Prof. Dr. Hans Georg Niemeyer,
Hamburg,
anlässlich der Verleihung der Joachim Jungius-Medaille.
Von Prof. Dr. Dr. h. c. Renate Rolle, Hamburg
Herr Präsident, Herr Präsident, Herr Staatsrat, sehr verehrter lieber Herr Niemeyer, meine sehr geehrten Damen und Herren!
"Herausragende Leistungen in Wissenschaft und Forschung"
würdigt die Joachim Jungius-Gesellschaft mit der Verleihung
ihrer Medaille. Heute kommt diese hohe Ehrung Hans Georg Niemeyer
zu, einem Gelehrten, der, wie kaum ein anderer, Brücken geschlagen
hat, um die Tradition der Altertumswissenschaften in neuartiger
Weise fortzuführen. Von Hause aus Klassischer Archäologe,
hat er grundlegende fächerübergreifende Forschungen
vorangetrieben, die Maßstäbe im In- und Ausland gesetzt
haben. Neben scharfem analytischen Denken und methodologisch exakten,
dabei eleganten Formulierungen, die auch den Fachfremden ansprechen,
ist es besonders die multifaktorelle Sichtweise, die seinen Arbeiten
Ausstrahlungskraft und wissenschaftliche Wirksamkeit verleiht.
Für mich als Vor- und Frühgeschichtliche (also Prähistorische)
Archäologin ist es eine große Freude und etwas ganz
Besonderes, hier den Versuch einer kurzen Würdigung des Geehrten
vornehmen zu dürfen. Es ist nicht nur die langjährige
Zusammenarbeit im Archäologischen Institut der Universität
Hamburg, sondern ein ganz ähnlicher Forschungsansatz, der
uns verbindet. Mich führte die wissenschaftliche Biographie
nach Osten, in das Nordschwarzmeergebiet und in die Weiten der
pontisch-kaspischen Steppen; sein fachlicher Weg ließ ihn
zunächst im Westen, auf der Iberischen Halbinsel, ansetzen.
Beide konzentrierten wir uns auf gern als "Randkulturen"
bezeichnete Komplexe, in meinem Fall die Kimmerier und Skythen,
in seinem Fall die Phönizier und Punier. Im fachlichen Dialog
an der Universität Hamburg trafen wir uns in dem Ziel, eine
"Kontaktzonenarchäologie" im Bereich der Altertumskunde
zu entwickeln und zu fördern, ein in Deutschland durchaus
ungewöhnlicher Fall. Wir beide sehen in diesem Ansatz, der
scheinbar fest gefügte Kulturgrenzen fächerübergreifend
zu durchdringen sucht, eine wichtige Antwort unserer Zeit auf
die komplexe Situation der gegenwärtigen Archäologie
und der inzwischen erreichten Dimensionen des Fund- und Befundmaterials.
Ein kurzer Blick auf den wissenschaftlichen Werdegang ist hier
angebracht. Geboren 1933 in Hamburg, legte Hans Georg Niemeyer
1953 an der Hamburger Gelehrtenschule des Johanneums das Abitur
ab und studierte anschließend die Fächer Archäologie,
Klassische Philologie und Alte Geschichte; dies zunächst
in Marburg, später in Hamburg, wo er im Frühjahr 1959
mit einer Dissertation über die Darstellung der bewaffneten
Athena in archaischer Zeit zum Dr. phil. promoviert wurde.1961
trat er an der Kölner Universität eine Assistentenstelle
an und habilitierte sich dort 1966 mit der Schrift "Studien
zur statuarischen Darstellung der römischen Kaiser".
Einen entscheidenden Umbruch im wissenschaftlichen Werdegang markiert
seine Entdeckung der phönizischen Faktorei Toscanos bei Torre
del Mar in der Provinz Málaga, wo er von 1964 bis 1986
zahlreiche Ausgrabungen durchführen konnte. Das 1979 an der
Universität Köln veranstaltete internationale Symposium
"Die Phönizier im Westen" und die mehrtägige
zweite "Theodor-Mommsen-Vorlesung" am Römisch-Germanischen
Zentralmuseum in Mainz zogen Zwischenbilanzen dieser neuen Forschungen
und führten eine größere Öffentlichkeit in
die Ergebnisse mit ein. Wie ich aus persönlichen Gesprächen
weiß, verlief der Weg bis dahin nicht geradlinig, sondern
stellte letztendlich eine bewusste Entscheidung "gegen den
Strom" der damaligen Zeit dar, wobei glückliche Umstände
ihn zur ertragreichsten Station seines Lebens nach Karthago führen
sollten.
Zum Wintersemester 1980 wurde Hans Georg Niemeyer, in Nachfolge
von Walter Hatto Groß, auf den Lehrstuhl seines Lehrers
Ernst Homann-Wedeking an die Universität Hamburg berufen.
1986 lehrte er als Gastprofessor an der Universität Bordeaux
und begann Ausgrabungen im Stadtgebiet des punischen Karthago,
zunächst auf Einladung des Deutschen Archäologischen
Instituts in Rom, später und bis heute gefördert von
der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Auf internationalen Kongressen
und in vielen Fachzeitschriften wurden die Resultate dieser bahnbrechenden
Arbeiten der internationalen Forschung präsent gemacht. In
der gemeinsam mit Ulrich Gehrig, dem Direktor des Kestner-Museums
in Hannover, veranstalteten Ausstellung "Die Phönizier
im Zeitalter Homers", die 1990 in Hannover und anschließend
im Helms-Museum für Archäologie in Hamburg-Harburg gezeigt
wurde, spiegelte sich die bedeutsame geschichtliche Rolle der
Phönizier als Kulturträger und Kulturvermittler. Darüber
hinaus präsentierte eine Ausstellung in Hamburg, Berlin,
Bremen, Kassel, Kiel und Rostock einem staunenden Publikum die
Karthago-Grabung des Hamburger Archäologischen Instituts
und zeigte diese prestigeträchtigen Feldforschungen, die
zum breiten Ansehen deutscher Wissenschaft und Forschung auch
international einen so wesentlichen Beitrag leisten.
Von 1970 bis 1978 war Niemeyer im Vorstand des Deutschen Archäologen-Verbandes,
von 1974 an als dessen Vorsitzender. Er war von 1981 bis 2001
Vertreter der Freien und Hansestadt Hamburg in der Zentraldirektion
des Deutschen Archäologischen Instituts, ist Korrespondierendes
Mitglied der Hispanic Society, New York, sowie der Real Academia
de la Historia, Madrid, außerdem Mitglied der Commissione
per gli studi Fenici e Punici der Accademia Nazionale dei Lincei,
Rom.
Im Mittelpunkt seiner Forschungen stehen der geographische Großraum
des gesamten Mittelmeergebiets und die ihn umgebenden Anrainerstaaten,
die er mit vielfältigen und ungewöhnlichen Forschungsansätzen
über den Zeitraum von der minoischen bis zu spätantiken
Epoche untersucht und auswertet. Ausgehend von den phönizischen
Stadtstaaten und ihren frühen Expansionsbewegungen, gelten
seine Forschungsinteressen auch den gleichzeitigen nahöstlichen
Kulturen in ihrem Beziehungsgeflecht zur mittelmeerischen Welt,
weiterhin dem Verhältnis von Griechen und Iberern.
Sein durch die Fundsituation in Spanien besonders geschärfter
Blick auf den Ausgangsherd der phönizischen Expansion, einen
umwälzenden Prozess, der im 8. vorchristlichen Jahrhundert
beginnend und von der Levante ausgehend, den gesamten Mittelmeerraum
sowie die Atlantikküste jenseits der Straße von Gibraltar
erfasste, ließ ihn ganz besonders den Typ der phönizischen
Faktoreien und Handelsniederlassungen ins Zentrum der Überlegungen
stellen. Der Fundplatz Toscanos an der spanischen Südküste
lieferte faktisch das Grundmuster, um den Geschäften von
frühen Kauffahrern und Erzprospektoren archäologisch
nachzuspüren.
Geduldig trug Hans Georg Niemeyer bis in allerjüngste Zeit
neue Forschungen, gerade zur frühen Geschichte der Phönizier
zusammen, und verdichtete das Bild zu einer "Archäologie
der Expansion". Diese analysiert er auf dem Hintergrund Griechenlands
und der nahöstlichen Kulturen, um kulturelle Interaktionen
und multifaktorelles Geschehen transparent und nachvollziehbar
zu machen. Im Ergebnis wird der wesentliche Beitrag der phönizischen
Stadtstaaten zur Geschichte der Alten Welt deutlich. Zu den bemerkenswertesten
Resultaten gehört nichts weniger als ein völlig neues
Phönizierbild, dessen Erarbeitung auf ihn zurückgeht.
Dazu zählt die Einschätzung der Phönizier nicht
nur als Pioniere der Seefahrt, sondern auch die Erschließung
ihrer wirtschaftlichen, organistorisch-technischen und Marketing-Strategien.
Hans Georg Niemeyer hat den Typ des großräumig agierenden,
international ausgerichteten phönizischen Kaufmanns fassbar
gemacht, der lokale Entwicklungen und landesspezifischen Reichtum
in eigener Regie einschätzen sowie nutzbar machen konnte
und auf übernationalen Konsum berechnete, wobei die Vermittlung
der Schrift über weite Räume hinweg unter anderem auch
zur Bewahrung intellektuellen Gutes diente. Die Entschlüsselung
der Mechanismen dieses "geschäftlichen know-hows"
und der wirtschaftlichen Prosperität ist eines der wesentlichen
Anliegen des Forschers Niemeyer, der gern Cleverness, List und
die "leise und unauffällige", im Grunde aber massive
Einflussnahme der zahlreichen kleinen Faktoreien hervorhebt, die
durch Präsenz phönizischer Luxus- und Prestigeartikel
für die entsprechende Nachfrage sorgten und gleichzeitig
auch entsprechende Begehrlichkeiten weckten.
Zu allen diesen Themenkomplexen liegen von ihm grundlegende Studien
vor, die durch eine zahlreiche internationale Gruppe von Schülern
und wissenschaftlichen Wegbegleitern heute wirkungsvoll weiterentwickelt
werden. Seine Erkenntnisse haben sich in verschiedenen Symposien
niedergeschlagen, die bereits während seiner Kölner
Periode einsetzten und bis in jüngste Zeit fortgeführt
wurden. Sie markieren Meilensteine seiner Forschungen. Zahlreiche
kritische und erhellende Rezensionen spiegeln seinen breitgespannten
Horizont und seine noble Art der Einschätzung und Wertung
anderer Forschungsergebnisse. Nur am Rande sei hier auch auf die
rege Publikations-, Herausgeber- und Mitherausgebertätigkeit
hingewiesen. Persönlich möchte ich jedoch betonen, dass
seine intensive Zusammenarbeit mit der Vor- und Frühgeschichtlichen
Archäologie, die sich in drei Publikationsreihen des Archäologischen
Instituts niedergeschlagen hat, im Fach durchaus nicht das Übliche
darstellt.
Das wissenschaftliche Werk von Hans Georg Niemeyer spiegelt im
schönsten und breitesten Sinne des Wortes die Altertumswissenschaften.
Seine interdisziplinären Arbeiten sind bedeutsam und spannend
für den Klassischen und den Ur- und frühgeschichtlich
arbeitenden Archäologen, ebenso aber auch für den Ägyptologen,
den Etruskologen und Altorientalisten, wie für den Althistoriker
und Philologen. Seine Präsenz in der praktischen Feldforschung,
insbesondere die Leitung der seit 1986 geführten Ausgrabungen
des Hamburger Archäologischen Instituts in einer antiken
Metropole wie Karthago, lieferte nicht nur bauliche archaische
Reste dieser Stadt, sondern ist grundlegend für die griechische
Geschichte und darüber hinaus für die gesamte Polis-Entwicklung.
Karthago nimmt in vieler Hinsicht eine Sonderstellung ein. Die
prunkvolle und mächtige Handelsmetropole, die, wie bereits
die Schulkinder lernen, aufs Grausamste vom Antlitz der Erde getilgt
wurde, erneut ins Rampenlicht der Geschichtsforschung gerückt
zu haben, ist sein herausragendes Verdienst . Die subtile Erforschung
der Entstehungsgeschichte und des dramatischen Untergangs dieses
wichtigen Pols im mediterranen Kräftefeld sowie das kompetente
und erfolgreiche Engagement der Niemeyerschen Forschungen gerade
daran, das einseitig aus der Sicht der Sieger geprägte Bild
von Karthago mit den Mitteln der Archäologie - zumindest
vor dem geistigen Auge - zu objektivieren, bilden ein stetes Faszinosum.
Das Grabungsprojekt mit seiner einer Tiefgrabung gleichenden markanten
Untersuchungsfläche konnte vorbildlich mit der Konservierung
und der denkmalpflegerischen Herrichtung und Präsentation
des Grabungsgeländes abgeschlossen werden. Diese Verpflichtung
der Allgemeinheit gegenüber kennzeichnet eine weitere Arbeits-
und Denkrichtung Hans Georg Niemeyers in besonderer Weise. Dies
schlägt sich auch in zahlreichen Auflagen seiner bei der
Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienen "Einführung
in die Archäologie" nieder, die für Studierende
und interessierte Laien über 30 Jahre hinweg ein Standardwerk
darstellt. Zusammen mit dem Sachbuchautor Rudolph Pörtner
hat er in den Jahren 1981-87 eine zehnbändige Reihe "Die
großen Abenteuer der Archäologie" herausgegeben,
deren Inhalt und Titel heute absolut modern anmutet.
In einer Zeit, in der die verschiedenen archäologischen Fächer
leider immer deutlicher auseinanderdriften und inzwischen fast
völlig getrennte Disziplinen mit abweichenden Anforderungsprofilen
darstellen, hat Hans Georg Niemeyer immer integrativ gewirkt.
Mit ihm wird ein Gelehrter ausgezeichnet, der der kulturgeschichtlichen
Forschung richtungweisende Impulse gegeben hat und dessen Wirken
und menschliche Ausstrahlung Bewunderung und hohen Respekt verdienen.
Alle guten Wünsche für die Zukunft mögen ihn und
seine Familie begleiten.