Laudatio und Danksagung
Laudatio auf Prof. Dr. Walther Ludwig, Hamburg,
anlässlich der Verleihung der Joachim Jungius-Medaille.
Von Prof. Dr. Konrad Heldmann, Kiel
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, und vor allem: sehr verehrter, lieber Herr Ludwig!
Wenn von einem laudator verlangt werden muß, daß
er die Leistungen und Verdienste eines laudandus in angemessener
Weise zu würdigen imstande ist, dann hätten Sie, Herr
Präsident, mir diese Aufgabe nicht übertragen und ich
hätte sie nicht übernehmen dürfen. Denn der Lebensleistung
von Herrn Ludwig gerecht zu werden und all das, wofür er
mit seiner Persönlichkeit steht, einem geneigten Publikum
darzustellen, fehlt mir durchaus die erforderliche Kompetenz.
Natürlich bin ich mir dessen bewußt, daß sich
ein laudator normalerweise mit einer solchen Vor-bemerkung dem
Verdacht aussetzen würde, daß er nach einer captatio
benevolentiae gesucht und nicht bedacht hätte, daß
deren Wirkung durch adulatorische Übertreibung eher geschmälert
als verstärkt zu werden pflegt. Aber in diesem Falle könnte
nur ein ganz und gar Unkundiger auf eine solche Idee verfallen,
einer also, der nichts weiter über unseren laudandus wüßte,
als daß er ungewöhnlich viele Bücher und eine
fast entmutigend große Zahl von Aufsätzen auf höchstem
wissenschaftlichen Niveau ver-öffentlicht hat. Den würde
ich ganz einfach bitten, sich doch einmal danach zu erkundigen,
welche wissenschaftliche Disziplin Herr Ludwig wohl repräsentiert.
Darauf nämlich wären nicht nur eine und auch nicht zwei,
sondern mindestens drei Antworten zu geben:
Die Gräzistik kann Herrn Ludwig zu allererst für sich
in Anspruch nehmen, weil er ihr und sie ihm durch seine Promotion
und durch seine Habilitation verpflichtet ist. Den Anfang seiner
akademischen Laufbahn bildete die Dissertation über Euripides,
und ihr erstes Ziel erreichte sie mit der Habilitations-schrift
über die hellenistischen Liebesepigramme.
Die Vertreter der klassischen Latinistik dagegen können Herrn
Ludwig mit noch höherem Recht für einen der ihren halten,
denn seine vor fast vierzig Jahren erschienene Arbeit über
die Struktur und Einheit der Metamorphosen Ovids ist noch immer
so präsent, daß es selbst unter den Studenten (expertus
dico) niemanden gibt, dem der Name Ludwig nicht vertraut wäre
- nicht zu reden von dem Horaz- und Terenz-Forscher Walther Ludwig.
Gewiß, ohne Beispiel ist eine Kompetenz sowohl in der Gräzistik
als auch in der Latinistik in der Klassischen Philologie wohl
nicht. Aber Herr Ludwig muß sich gesagt haben, daß
es für einen, der imstande ist, zwei altehrwürdigen
Universitätsdisziplinen gerecht zu werden, ungemein reizvoll
wäre, die Meisterschaft auch auf einem Wissenschaftsgebiet
zu erwerben, das aus dem Kanon der etatisierten akademischen Fächer
unverdientermaßen ausgeschlossen worden ist. Das ist die
Humanismus- und Renaissance-Forschung und mit ihr die unüberschaubare
und bisher nur zum geringsten Teil erforschte Literatur Europas,
die man mit dem Kürzel Neulatein zu etikettieren pflegt und
deren Reichtum und Vielfalt so außerordentlich ist, daß
schon manch Klassischer Philologe, der sich darin wissenschaftli-che
Verdienste zu erwerben hoffte, ganz wider Erwarten gestrauchelt
ist. Herr Ludwig indessen pflegt, wenn das in seinem Beisein passiert,
so generös zu reagieren wie ein Vater, der seine Freude daran
hat, wenn seine Kinder ihm, wie unvollkommen auch immer, nachzueifern
versuchen. Das ist bezeichnend für seine Persönlichkeit,
aber er kann sich das auch deshalb leisten, weil er der unbestrittene
Doyen dieser Disziplin und als solcher nicht nur in Deutschland,
sondern in der gesamten res publica litteraria neidlos anerkannt
ist. Zahlreiche nationale und internationale wissenschaftliche
Vereinigun-gen und Akademien haben ihn deshalb zu ihrem Mitglied
gewählt.
Es wäre verlockend, die bis heute erbrachte Lebensleistung
von Herrn Ludwig mit seinem Lebenslauf in Beziehung zu setzen.
Aber dafür müßte man sehr weit ausholen. Einiges,
das mir in besonderer Weise signifikant erscheint, möchte
ich aber doch herausgreifen.
Da er im Stuttgart des Jahres 1929 geboren wurde, haben die Götter
ihm die württembergische Staatsbürgerschaft in die Wiege
gelegt. Zwar hatte diese Gabe keinen langen Bestand, aber das
ficht ihn nicht weiter an, denn Württemberger aus Überzeugung
ist er immer geblieben.
Dennoch und durchaus im Einklang mit diesem Selbstverständnis
lebt und lehrt er seit fast dreißig Jahren in Hamburg, und
den Weg dorthin hat er über Frankfurt am Main und die Vereinigten
Staaten von Amerika genommen. Sechs Jahre hindurch und dies zu
einer Zeit, als man eigentlich nur als Naturwissenschaftler jenseits
des Atlantiks eine Universitätskarriere machen konnte, hat
er die Latinistik an der Columbia University in New York vertreten.
Im selbstverständlichen Bekenntnis zur Prägung durch
seine Herkunft und in der energischen Bereitschaft zur Welterfahrung
bildet sich ein Spannungsbogen ab, der mir für Herrn Ludwig
charakteristisch zu sein scheint. Es ist dies die Spannung zwischen
der patria und dem orbis terrarum, ein Spannungsbogen, der auf
vielfältige Weise nicht nur in seiner Biographie, sondern
auch in seiner wissenschaftlichen Arbeit wirksam geworden ist.
Dies gilt aber nicht nur für die Gesamtheit seiner wissenschaftlichen
Interessen, sondern es läßt sich auch an vielen Einzelzügen
ablesen. Als Beispiel dafür seien nur seine der eigenen Herkunft
gewidmeten familiengeschichtlichen Forschungen genannt, in denen
aus einer im besten Sinne des Wortes zu verstehenden Bodenständigkeit
historische Exempel erwachsen sind, die zu neuen Erkenntnissen
geführt haben. In ganz anderer, aber vielleicht doch vergleichbarer
Weise, ist es ihm gelungen, sich für die Bewältigung
der eigenen, deutschen Geschichte den schärferen Blick des
Außenstehenden zunutze zu machen: Herr Ludwig hat es als
einer der ersten unternommen, am Paradigma der Klassischen Philologie
den düstersten Abschnitt in der Geschichte der deutschen
Universitäten aufzuarbeiten, in dem die Besten ihres Amtes
enthoben und nicht nur aus den Universitäten, sondern auch
aus Deutsch-land vertrieben wurden. Die zugleich bedrückende
und befreiende Wirkung dieser Arbeit scheint mir darauf zu beruhen,
daß sie völlig frei ist vom moralischen Eifer des Nachgeborenen,
vielmehr geprägt von einer Qualität, die auch sonst
charakteristisch ist für Walther Ludwig. Es ist dies die
sa_?ve?a, die rationale Klarheit, und so ist es gewiß auch
kein Zufall, daß der Begriff sa_?-ve?a den Titel für
seine Dissertation abgab.
Mit dieser Dissertation hatte der junge Tübinger Doktorand
die attische Tragödie des fünften vor-christlichen Jahrhunderts
zu seiner patria gemacht. Die Grenzen dieses Forschungsgebiets
erweiterte der Münchner Habilitand in zweifacher Hinsicht,
in Zeit und Raum, indem er sich der Dichtung zuwandte, die den
weiten Kosmos der hellenistischen Welt widerspiegelt. Diese beiden
Pole zu-sammenrücken zu lassen und einen neuen Gegenpol zu
bilden wäre Ovid mit seinen Metamorphosen vorzüglich
geeignet gewesen. Aber indem Walther Ludwig die Latinität
als Ganzes in den Blick nahm, ließ er die Literatur, die
in dem imperium sine fine des Augustus entstanden war, ganz nahe
an die attische Tragödie heranrücken, und spannte den
in Jahrtausenden zu messenden Bogen von der Antike bis hin zur
frühen Neuzeit und zu unserer Gegenwart.
Mit dem Doppelbegriff von Neuzeit und Gegenwart ist freilich schon
angedeutet, daß das Bild des Bogens, wenn es zugleich als
das des Brückenschlags zwischen zwei Pfeilern verstanden
würde, kaum zureichend wäre, um zu illustrieren, was
hier zu leisten war und geleistet wurde. Denn wie wenig die Jahrhunderte
der Neuzeit einem bloßen Pfeiler entsprechen, haben gerade
die Arbeiten gezeigt, die Walther Ludwig über die lateinische
Literatur des Humanismus und der Renaissance veröffentlicht
hat. Sie offenbaren dem Leser ein weitläufiges und unübersehbares
architektonisches Ensemble - ein Ensemble nicht nur von Palästen
und prächtigen Häusern, sondern auch von einfachen Hütten
und Arbeitsstätten, das von zahlreichen Straßen und
Wegen durchzogen ist. Auf diesen Straßen und Wegen hat er
sich immer wieder als ein kundiger Führer erwiesen, und oft
genug hat er sie überhaupt erst vom Schutt der Jahrhunderte
befreit und begehbar gemacht. Und wenn von einem Klassischen Philologen
zu fordern ist, unbeirrbare Genauigkeit mit einem Blick für
das Wesentliche zu verbinden, so hat Walther Ludwig diese Kunst
für die Literatur des Humanismus und der Renaissance fruchtbar
gemacht und mit wachen Sinnen ans Licht zurückgeholt, was
den Blicken über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg entschwunden
war, zugleich aber hat er mit aller Selbstbescheidung darauf bestanden,
wie viel hier noch zu leisten übrig bleibt.
Ich wüßte nicht, wer würdiger wäre für
die Verleihung der Joachim Jungius-Medaille.