Laudatio und Danksagung


Laudatio auf Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Herbert Giersch, Kiel,
anläßlich der Verleihung der Joachim Jungius-Medaille.

Von Prof. Dr. Erhard Kantzenbach

Herr Präsident, sehr verehrter Herr Kollege GIERSCH, meine sehr geehrten Damen und Herren,

die Mitgliederversammlung unserer Gesellschaft hat beschlossen, Ihnen – sehr verehrter, lieber Herr GIERSCH – die Joachim Jungius Medaille zu verleihen. Gemäß unserer Satzung erfolgt die Verleihung „zur Würdigung herausragender Leistungen in Wissenschaft und Forschung".
Sehr gern habe ich die Aufgabe übernommen, aus diesem Anlaß Ihre wissenschaftliche Leistung einer kurzen Würdigung zu unterziehen, denn als jüngerer Fachkollege war es für mich nur eine Pflicht, Ihre zahlreichen Veröffentlichungen zu studieren. Vielmehr haben mich diese durch ihre Themenwahl, durch ihre Unter-suchungsmethode und durch ihre Darstellungsweise ganz besonders angesprochen. Dies gilt auch für die Mehrzahl Ihrer engagierten wirtschaftspolitischen Schlußfolgerungen – allerdings nicht für alle – aber das wäre dann ja wohl schon peinlich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Verleihung der Joachim Jungius Medaille ehrt unsere Gesellschaft einen der bekanntesten und einflußreichsten deutschsprachigen Sozialökonomen der Nachkriegszeit. In einer Zeit, in der dieses Fach in immer engere Teilgebiete zerfiel, die meistens immer abstrakter, formaler und damit wirklichkeitsfremder behandelt wurden, hat sich HERBERT GIERSCH immer um eine umfassende und realitätsnahe Interpretation des wirtschaftlichen Geschehens bemüht. Seine zahlreichen Arbeiten zeichnen sich durch große analytische Schärfe und exakte Formulierungen aus, die dennoch auch für Fachfremde verständlich sind. Engagiert, ja teilweise leidenschaftlich, hat er vor möglichen Fehlentwicklungen gewarnt und Empfehlungen zu ihrer Vermeidung gegeben.
HERBERT GIERSCH wurde am 11. Mai 1921 in Reichenbach in Schlesien geboren. Er studierte an den Universitäten Breslau und Kiel wurde 1948 promoviert und 1950 bei WALTER HOFFMANN in Münster habilitiert.
Nach einigen Jahren als Privatdozent und Mitarbeiter der OECD erhielt HERBERT GIERSCH 1955 seinen ersten Ruf auf den wirtschaftspolitischen Lehrstuhl der Universität des Saarlandes. Das war ein Jahr vor der Ratifizierung des EWG-Vertrages und kein Standort eignete sich damals besser zur Diskussion integrationspolitischer Fragen als das Saarland, dessen spätere staatliche Zuordnung damals noch ungeklärt war. GIERSCH beteiligte sich intensiv in Forschung und Lehre an der Entwicklung einer Theorie der Zollunion.
Als Assistent am Europäischen Forschungsinstitut der Universität Saarbrücken – heute würden wir es ein Graduierten-Kolleg nennen – hatte ich 1959 und 1960 Gelegenheit an den Seminaren von HERBERT GIERSCH teilzunehmen. Es war eine harte Schule aber eine ungemein fruchtbare, durch die GIERSCH seine Schüler trieb. Nur wer die tiefgründigen wohlfahrtstheoretischen Analysen beherrschte und exakt zu formulieren verstand, erhielt den begehrten Seminarschein.
Das scharfe analytische Denken und die präzise verbale Ausdrucksweise, die GIERSCH seinen Schülern vermittelte, zeichnet auch sein Lehrbuch über die Grundlagen der Wirtschaftspolitik aus, das in diesen Jahren entstand. Zweifellos ist dem Autor mit diesem Werk ein großer Wurf gelungen. Das Buch behandelt nicht nur die bekannten Ziel-Mittel-Probleme der Wirtschaftspolitik, sondern auch deren sozialphilosophische Grundlagen und methodologische Probleme. Welche Bedeutung gerade diese Fragen für unser Fach haben, wurde mir erst richtig klar, als der stillschweigende Konsens nach 1968 von der marxistischen Kritik explizit in frage gestellt wurde und wir uns rechtfertigen mußten.
Obwohl die Grundlagen der Wirtschaftspolitik schon 1960 erschienen sind, sind sie bisher m. E. von keinem entsprechendem Lehrbuch übertroffen worden. Sie sollten deshalb auch heute noch in keiner Literaturliste fehlen. Um so mehr ist zu bedauern, daß der Autor bisher nicht die Zeit fand, neue Entwicklungen in Theorie und Praxis in einer Neuauflage zu berücksichtigen.
1964 wurde HERBERT GIERSCH in den neu gegründeten Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung berufen. Er gehörte ihm 6 Jahre, also bis 1970 an. In der umfangreichen Liste der Beratertätigkeiten von GIERSCH stellt der Rat nur eine Position unter vielen dar. Wegen seiner großen Bedeutung für die wirtschaftspolitische Meinungsbildung in Deutschland und allein wegen des hohen Arbeitseinsatzes, den er seinen Mitarbeitern abverlangt, gebührt ihm aber eine Hervorhebung. Obwohl der Rat vertraulich verhandelt, wußte man im Kollegenkreis sehr bald, daß GIERSCH die Rolle eines Meinungsführers zugefallen war – zeitweise in Rivalität zu seinem Fakultätskollegen WOLFGANG STÜTZEL. Vor allem GIERSCH ist es deshalb zu verdanken, daß der Rat von Anfang an die Bedeutung erlangte, die ihn heute noch auszeichnet.
HERBERT GIERSCH hat die Erkenntnisse und Erfahrungen, die er durch seine Mitarbeit im Sachverständigenrat gewonnen hat, in einem zweiten Lehrbuch zur Konjunktur- und Wachstumspolitik verarbeitet. Auch diesem Buch gebührt eine Sonderstellung innerhalb der Fachliteratur. Wie kaum einem anderen Autor ist es GIERSCH gelungen, die praktischen Probleme beim Einsatz konjunkturpolitischer Instrumente in die Analyse einzubeziehen und aus ihnen Schlußfolgerungen für eine kon-junktur- und wachstumspolitische Konzeption zu entwickeln. Auch wenn sich die Rahmenbedingungen für die Politik in den 22 Jahren seit seinem Erscheinen geändert haben, bleibt das Buch – vor allem wegen seines problemorientierten Ansatzes – auch heute noch eine wertvolle Lektüre für Fachkollegen und Studenten.
Vielleicht verwundert es, daß ich aus dem umfangreichen Werk von HERBERT GIERSCH ausgerechnet zwei Lehrbücher hervorhebe. Ich tue dies, weil ich in ihnen viel mehr sehe als das, was man normalerweise in Lehrbüchern findet – nämlich eine Zusammenstellung und Systematisierung des aus der Literatur übernommenen Lehrstoffes. Bei den beiden Büchern von GIERSCH handelt es sich um echte Monographien, mit der Ausarbeitung und Einordnung selbst gewonnener wissenschaftlicher Erkenntnisse und der eigenständigen Entwicklung neuer wirtschaftspolitischer Strategien und Konzeptionen.
1969 folgte HERBERT GIERSCH einem ehrenvollen Ruf auf einen Lehrstuhl für wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität Kiel. Verbunden mit dem Lehrstuhl war die Präsidentschaft am Institut für Weltwirtschaft, einem der damals fünf großen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute der Bundesrepublik. Mit seinen über 100 wissenschaftlichen Mitarbeitern hat das renommierte Kieler Institut GIERSCH die Möglichkeit geboten, aktuelle weltwirtschaftliche und wirtschaftspolitische Fragen empirisch untersuchen und deren Ergebnisse in seine eigenen wissenschaftlichen Arbeiten einfließen zu lassen.
HERBERT GIERSCH hat die Möglichkeiten seiner zwanzigjährigen Präsidentschaft effektiv genutzt. Die Zahl seiner eigenen Veröffentlichungen und die seiner Mitarbeiter ist beeindruckend. Das Gleiche gilt für die Vielzahl von Tagungen und Kongressen mit in- und ausländischen Wissenschaftlern sowie wirtschaftspolitischen Ent-scheidungsträgern. Zweifellos hat HERBERT GIERSCH die große Leistungsfähigkeit und das hohe Ansehen des Kieler Instituts in diesen Jahren noch weiter gesteigert.
Gegenstand seiner eigenen Arbeiten und derjenigen seines Instituts waren vor allem die Ursachen der nachlassenden wirtschaftlichen Dynamik in Deutschland und in Europa allgemein. Zeitlich fielen sie etwa mit seinem Amtsantritt als Insti-tuts-präsident zusammen. Soweit ich weiß, stammt auch der Begriff „Eurosklerose" von ihm.
GIERSCH sieht die Ursachen dieser Entwicklung vor allem in der zunehmenden Beschränkung marktwirtschaftlicher Antriebs- und Steuerungskräfte durch staatliche Interventionen aber auch durch private Wettbewerbsbeschränkungen. An vielen Stellen der Wirtschaft konnte er sie nachweisen, und leidenschaftlich setzte er sich für die Erhaltung und Erweiterung individueller Freiheitsspielräume ein.
HERBERT GIERSCH hat damit wesentlich dazu beigetragen, daß die Bedeutung der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung in der Wissenschaft und in der Politik zunehmende Beachtung fanden. Daß nicht alle seine Forderungen in der Praxis durchsetzbar sind, ja nicht einmal in der Wissenschaft auf Zustimmung stoßen, wird ihn selbst nicht verwundern. Schließlich hat er wiederholt in seinen Veröffentlichungen auf die Rolle kontroverser Diskussionen für den Erkenntnisfortschritt hingewiesen.
Zu Recht sind HERBERT GIERSCH für seine wissenschaftliche Leistung höchste akademische und staatliche Auszeichnungen zuteil geworden. Die Joachim Jungius-Gesellschaft ist stolz auf ihr ordentliches Mitglied HERBERT GIERSCH und verbindet die Verleihung der Joachim Jungius Medaille an ihn mit allen guten Wünschen für die Zukunft.

Danksagung

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