Danksagung
von Professor Dr. Dr. h. c. mult. Herbert Giersch
Die Joachim Jungius-Medaille entgegenzunehmen, ist ein Markstein
auf meinem Lebensweg. Das Glück, das mir manche dazu wünschen
möchten, war wohl schon zugegen, als die Entscheidung fiel.
Die Medaille hat hoch geachtete Bürgen: Gelehrte aus den
hohen Schulen dieser Küstenregion. Sie ist auch dadurch respektabel,
daß sie nur selten verliehen wird.
Seltenheit allein, so die Preistheorie, begründet noch keinen
Knappheitswert. Hinzu kommen muß auf der Nachfrageseite
das marginale Nutzenkalkül.
Eine Auszeichnung braucht einen Ansehensnutzen. Ob dieser Empfänger
ihn mehren kann? Hierin wird deutlich, warum das Glück, das
man wünschen möchte, der Jungius-Gesellschaft selbst
zu widmen ist.
Ich will die Medaille gern akzeptieren, soweit sie Vergangenes
honoriert. Ein Wert jedoch, der dieses Maß übersteigt,
wird als Vertrauensbeweis wie ein Kredit bilanziert.
Eine Spur von Beklemmung kann ich nicht leugnen; darüber
hinaus herrscht Verlegenheit. Stolz soll nicht aufkommen, er weckt
sonst zu schnell ein Übermaß an Selbstkritik. Deshalb
möchte ich mich darauf beschränken, meine Dankbarkeit
in Worte zu fassen. Dank gebührt zunächst den Initiatoren
und weiterhin all denen, die dem Vorhaben in der Mitgliederversammlung
ihre Zustimmung gaben.
Herrn Kollegen KANTZENBACH danke ich mit großem Respekt
für seine Laudatio. Es ist ihm gelungen, mein Tun und Lassen
mild zu beleuchten, ohne meinen Widerspruch zu erregen. Die Fakten
stimmen cum grano salis; und die Akzente sind fast richtig gesetzt,
fast, so möchte ich unterstreichen, weil meine Perspektive
bisweilen etwas eigenartig ist.
Gestatten Sie mir, den Worten des Dankes noch einige Sätze
hinzuzufügen. Die Lebenserfahrung läßt mich vermuten,
daß der Achtungs-Markt, auf dem wir uns bewegen, nicht so
ganz frei von Rivalitäten ist. Es gab mir nämlich vor
zwei Jahrzehnten, als man mir erstmals den Ehrendoktorgrad verlieh,
ein hochgeschätzter Kieler Kollege (ERICH BURCK, der vielen
noch in Erinnerung ist) den weisen Rat, ich solle bedenken, daß
bei den engeren Fachkollegen eine Mitfreude nicht zu erwarten
sei.
So wäre heute die Frage zu stellen: Wer könnte sich
übergangen fühlen, wer sieht sich durch mich zurückgesetzt?
Der Achtungsmarkt liefert als Seins-Markt ein Ranking",
das nur die Anbieterseite betrifft. Was dem einen zum Vorteil
ausschlägt, ist dem anderen sein Pech wie in einem
Nullsummenspiel. Anderes gilt auf den Haben-Märkten: Das
Grundmodell da ist der freiwillige Tausch. Bei dem gewinnen beide
Seiten wie in der ehelichen Partnerschaft. Und das Mehr an Vermögen,
das der eine erzielt, geht nicht zu Lasten des anderen, wie es
bei der Scheidung geschieht.
Nun sehe ich mich im Besitz der Medaille ein bißchen
wie auf einem Podest, konfrontiert mit stummen Fragen, was aus
aktuellem Anlaß zu sagen sei. Wer sich als Wissenschaftler
so herausgestellt sieht, kann schwerlich zugeben: Das weiß
ich nicht. Von HAYEK, dem Arroganz im Wissen ein echtes Ärgernis
war, schlug früh schon beim Wirtschafts-Nobel-Preis Alarm.
Man werde den Empfängern mehr Resonanz gewähren, als
ihre Urteilskraft rechtfertigen kann.
Beim Grübeln über HAYEKs These kam mir für heute
ein Einfall zu Hilfe: Ich sollte aus eigenem Antrieb sagen, was
mir an Senioren-Lektionen vertretbar erscheint. Es ergaben sich
daraus die folgenden (zehn) Thesen, die man nachher kontrovers
diskutieren mag:
(1) Der erste Punkt gilt der Altersgrenze. Für Geisteswissenschaftler
ist sie kein Ausstiegssignal. Und wer sonst (vielleicht als Naturwissenschaftler)
den Ruhestand vor Augen hat, darf sich ruhig als Essayist versuchen,
wenn der Geist es noch von Natur erlaubt.
(2) Zum Zweiten: Memoiren zu schreiben, ist kein guter Ausweg,
auch wenn es als Drohpotential nutzbar erscheint. Mein Vorgänger,
der kantige ERICH SCHNEIDER, hatte der Sage nach
zwei Klingen parat: Sie kommen in meinen Memoiren vor, also nehmen
Sie sich bloß in acht! Sie erwähne ich in den Memoiren
nicht. Sie bleiben gänzlich außer Betracht.
(3) Zum Dritten: Es gibt für die Gelehrtenkohorten, die jenseits
der Altersgrenze sind, kein Schweigegebot weder sachlich
noch im politischen Raum. Wer schreibt, der bleibt! Und die öffentliche
Meinung braucht die Senioren wie eh und je auch
wenn ihr Einwurf manchmal störend wirkt.
(4) Viertens: Wer mitreden will, muß auf dem laufenden bleiben.
Die Neugier ist unsere Antriebskraft. Als Beispiel prägte
sich mir ein, wie noch in seinen alten Tagen ein bekannter Historiker
ich meine ZECHLIN sichtlich an echtem Wissensdurst
litt.
(5) Mit dem Nachwuchs kann man sich nicht lange messen. Die späte
Geburt verschafft sich ihr Recht. Wer sich trotzdem den Schülern
überlegen fühlt, war sehr wahrscheinlich als Lehrer
schlecht.
(6) Die Fachzeitschriften, die einen erreichen, lege man nie deprimiert
aus der Hand. Die Aufsätze spiegeln den Fortschritt der Forschung,
beschreiben aber oft nur ein schmales Band. Und in den gedruckten
Versionen erreicht uns nicht selten nur das Resümee von zermürbenden
Diskussionen, denen reichlich Autorenstolz zum Opfer fiel.
(7) Wer jetzt zu den älteren Jahrgängen zählt,
mußte kriegsbedingt manche Nachteile erfahren. Doch flossen
ihm später wie in meinem Falle unverhofft große
Knappheitsrenten zu. Mit Renten gemeint sind hier Einkommensquellen,
die man der Gunst der Umstände verdankt und ehrlicherweise
nur in Grenzen der eigenen Leistung zurechnen darf.
(8) Dem Nachwuchs sollte man dringend empfehlen, was uns Älteren
nur per Zufall gelang: Es lohnen sich längere Auslandsreisen
vor allem zum angelsächsischen Hochschulbetrieb. Sie
zahlen sich aus oft kurz nach der Rückkehr. Denn neben
dem Selbstvertrauen dienen sie mahnend dem sonst leicht erlahmenden
Forschungsdrang.
(9) Für die höheren Semester im Ruhestandsalter empfiehlt
sich das interdisziplinäre Gespräch. Im Lichte des Laienwissens
der anderen schwindet, so meine Erfahrung, die Sorge vor dem eigenen
Offenbarungseid.
(10) Schließlich gibt es eine Hoffnung für Ökonomen.
Auch am Lebensabend bieten sich Chancen für das fachspezifische
Humankapital. Es sprechen dafür zwei wichtige Gründe:
Zum einen offenbart die politische Klasse zunehmend ihr volkswirtschaftliches
Bildungs-Defizit.
Und zweitens erleben die Nachbarfächer, wie
fruchtbar der ökonomische Denkansatz ist. Es bezieht sich
dies
auf die Jurisprudenz im Verhältnis zur Institutionen-Ökonomik,
auf die Geschichtswissenschaft dank der Wachstumstheorie,
auf die Politikwissenschaft in Relation zur Wirtschaftspolitik,
auf die Soziologie, die Biologie und die Soziobiologie
im Blick auf
Mutation und Selektion in der evolutorischen Ökonomik und
auf die Medizin und Gesundheitsökonomik als Faktor
im künftigen
Wachstumsprozeß.
Damit bieten sich weite Anwendungsfelder für den sozioökonomischen
Denkansatz und für eine Wirtschaftswissenschaft, die sich
imperialistisch nicht um die Fachgrenzen schert.
Persönlich erfaßt mich ein Bedauern, daß man
mit Erkenntnisdrang gerontologische Grenzen nicht verschieben
kann. Noch nicht. Trost spendet für heute diese Medaille,
die nomen est omen an Jung erinnert und so für
das geistige Jungbleiben wirbt.