Jörn Henning Wolf
Hans Gerhard Creutzfeldt (1885-1964) -
klinischer Neuropathologe und Mitbegründer der biologischen Psychiatrie
Berichte a. d. Sitz. der Joach. Jungius Ges., Jg 21, Heft 5, 140 Seiten, kart., (ISBN 3-525-86324-1), € 21,90.

Bei der neuerdings medienweit häufigen Erwähnung der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zwar als "Entdecker" apostrophiert, verbindet jedoch die Allgemeinheit kaum nähere Vorstellungen mit dem Namen Creutzfeldt, geschweige mit seiner Person als Urheber der Erstbeschreibung einer heute schwammförmige Hirnerkrankung genannten Organveränderung. Und auch die medizinische Fachwelt kennt - mit Ausnahme örtlich Eingeweihter - nur wenige Facetten von Leben, wissenschaftlichem Werk, ärztlicher Leistung und akademischem Wirken der Psychiaterpersönlichkeit Hans Gerhard Creutzfeldt, dessen berufliche Tätigkeit in die Zeit zwischen 1913 und 1953 fällt. Bei herausragenden Forscher- und Klinikergestalten wie Alois Alzheimer, Ernst Siemerling und Karl Bonhoeffer in der seinerzeit noch Neurologie und Psychiatrie umfassenden Nervenheilkunde ausgebildet, entwickelte sich Creutzfeldt auf dem Spezialgebiet der Neuroanatomie zum anerkannten Experten. Allerdings verstand er seine histopathologischen Untersuchungen stets als angewandte Anatomie des Zentralnervensystems und stellte ihre Ergebnisse in den Dienst der klinischen Diagnostik und Forschung. Mit der ihm noch bei zwei weiteren Krankheitsbildern gelungenen Aufklärung hirnorganischer Veränderungsprozesse als Korrelat psychopathologischer Zustände wurde er einer der Wegbereiter der modernen biologischen Psychiatrie.
In seiner Funktion als Direktor der Kieler Universitäts-Nervenklinik 1938-1953 geriet Creutzfeldt zwangsläufig im Dritten Reich in jene schwierige Situation, die alle verantwortlichen Fachvertreter nötigte, im Zuge des ungeheuren Missbrauchs der Psychiatrie während des NS-Regimes ihre Position gegenüber dem Programm der Zwangssterilisation und gezielten Tötung psychisch Kranker zu finden. Gestützt auf die Resultate intensiver Quellenrecherchen und der Verfolgung einzelner Patientenschicksale sucht die vorliegende Studie über Creutzfeldts Rolle in diesem Geschehen zu einem objektiven und solide begründeten historischen Urteil zu gelangen, welches bisherige Annahmen graduell, in manchen Punkten essenziell korrigiert.