Würdigung und Danksagung
Auf Vorschlag der Joachim Jungius-Gesellschaft
der Wissenschaften verleiht die
DR. HELMUT UND HANNELORE GREVE STIFTUNG
FÜR WISSENSCHAFTEN UND KULTUR
den Förderpreis an
Herrn Dr. phil. Andreas Görke
Arbeitsbereich Islamwissenschaft, Asien-Afrika-Institut,
Universität Hamburg
Gehen die frühen islamischen Werke wirklich auf die Autoren zurück, denen sie traditionell zugeschrieben werden, oder sind sie langsam gewachsene Produkte von Schulen und damit später zu datieren als allgemein angenommen? Herr Dr. Andreas Görke ist in seiner Dissertation dieser in der Islamwissenschaft heftig umstrittenen Frage anhand eines frühen Rechtswerkes nachgegangen. Er hat in methodisch vorbildlicher Weise gezeigt, dass dieses Werk tatsächlich von dem Gelehrten redigiert wurde, unter dessen Namen es bekannt ist, und dass die Methode der literarischen Analyse, die der Schulentheorie zu Grunde liegt, nicht zu sicheren Ergebnissen führt. Damit hat er die Forschung nicht nur methodisch einen großen Schritt vorangebracht, sondern auch beigetragen, die Datierung des in den frühen Werken überlieferten Materials auf eine sichere Grundlage zu stellen.
Hamburg, am 21. November 2003
(Prof. Dr. Helmut Greve)
(Prof. Dr. h. c. Hannelore Greve)
Stiftungsvorstand
Danksagung von Dr. Andreas Görke
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr verehrtes Ehepaar Greve, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Die Frage nach den Anfängen des Islam
gehört zu den am heftigsten umstrittenen Fragen in der Islamwissenschaft.
Ein Kernpunkt in der Diskussion ist dabei die Frage nach der Zuverlässigkeit
der Quellen.
Lassen Sie mich kurz anreißen, wie sich die Quellensituation
zur Frühzeit des Islam darstellt. Es gibt aus dem ersten
Jahrhundert nach Mohammed - also dem 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung
- außer ein paar Koranfragmenten und einigen, wenigen, außerislamischen
Schriften praktisch keine schriftlichen Quellen zum Islam. Auch
aus den nächsten beiden Jahrhunderten liegen nur sehr wenige
Handschriften vor; in dieser Zeit sollen aber bereits zahlreiche
Werke entstanden sein. Eine ganze Reihe dieser Werke gilt auch
als erhalten, liegt uns jedoch meist nur in deutlich späteren
Handschriften oder Abschriften vor. Eines dieser Werke, das in
späteren Handschriften erhalten sein soll, ist das von mir
untersuchte Kitab al-Amwal, eine Abhandlung über das Beute-
und Steuerrecht. Es gilt als eines der frühesten erhaltenen
Rechtswerke im Islam und wird dem Abu Ubaid zugerechnet, einem
bedeutenden Philologen, Grammatiker und Juristen, der etwa von
770 bis 838 unserer Zeitrechnung lebte.
Sie sehen bereits: Ich bin mit meinen Formulierungen sehr vorsichtig,
denn die Zuschreibung von "Werken" zu "Autoren"
im frühen Islam ist keineswegs unumstritten. So sind einige
Islamwissenschaftler der Meinung, dass es sich bei (zumindest
einigen) späteren Handschriften tatsächlich um mehr
oder weniger wortgetreue Abschriften von früheren Werken
handelt. Andere Forscher vertreten dagegen die Ansicht, dass ein
Großteil der späteren Handschriften bestenfalls überarbeitete
Fassungen von frühen Werken sind, möglicherweise aber
auch sehr viel spätere Werke, die fälschlich frühen
Autoren zugeschrieben wurden. Im letzteren Fall wäre der
Quellenwert dieser Werke für die Frühzeit natürlich
äußerst gering.
Inzwischen kann sicher gezeigt werden, dass es sowohl wortgetreu
überlieferte Werke wie auch falsche Zuschreibungen und Überarbeitungen
gibt. Die Frage nach der Entstehung und Überlieferung der
Werke aus den ersten Jahrhunderten der islamischen Geschichte
muss deshalb für jedes Werk erneut gestellt werden.
Ich bin daher in meiner Arbeit der Frage nachgegangen, inwieweit
das Kitab al-Amwal in seiner uns heute vorliegenden Form tatsächlich
als das Werk Abu Ubaids angesehen werden kann. Eine Werkanalyse,
also ein Studium des Textes, wie er uns heute in verschiedenen
Editionen vorliegt, zeigte dabei sowohl Merkmale, die für
eine sorgfältige Redaktion des Werkes durch den Autor sprachen,
als auch solche, die auf eine spätere Überarbeitung
hindeuteten. Musste man daher annehmen, dass das Werk das Ergebnis
eines längeren Prozesses redaktioneller Umarbeitung war und
sein Quellenwert daher gering? Diese Schlussfolgerung war in vergleichbaren
Studien bei anderen Werken aus dieser Zeit gezogen worden.
Durch ein genaues Studium der drei erhaltenen Handschriften des
Werkes, von denen eine - und zwar ausgerechnet die älteste
- bislang noch überhaupt nicht untersucht worden war, und
durch einen Vergleich von Zitaten aus dem Werk in späteren
Kompilationen, konnte ich jedoch zeigen, dass das Kitab al-Amwal
tatsächlich in der uns heute vorliegenden Form auf Abu Ubaid
zurück geht. Auch die Merkmale, die zunächst für
eine spätere Redaktion zu sprechen schienen, ließen
sich sicher auf Abu Ubaid selbst zurückführen und waren
bereits Bestandteil des ursprünglichen Werkes. Damit konnte
zum einen die Frage nach der Entstehung und Überlieferung
des Kitab al-Amwal selbst eindeutig geklärt werden, zum anderen
wurden aber auch die methodischen Schwächen einer reinen
Werkanalyse deutlich. So ließ sich als ein weiteres wichtiges
Ergebnis festhalten, dass die Datierung eines Werkes allein aufgrund
einer Werkanalyse problematisch ist und leicht zu falschen Ergebnissen
führen kann. Sie sollte daher immer von zusätzlichen
Untersuchungen wie dem Heranziehen von Zitaten aus späteren
Werken begleitet werden.
Meine Damen und Herren, Abu Ubaid hatte es in einem Punkt sicher leichter als ein Nachwuchswissenschaftler in der heutigen Zeit. So erfahren wir aus der biographischen Literatur, dass er einige seiner Werke verschiedenen Herrschern widmete, woraufhin ihm Anerkennung und großzügige Belohnungen zuteil wurden. Dies geht heutzutage nicht mehr so ohne weiteres.
Ich möchte daher Ihnen, sehr veehrtes
Ehepaar Greve, sowie dem Vorstand der Joachim Jungius Gesellschaft
herzlich dafür danken, dass sie durch die Vergabe der Förderpreise
heute den wissenschaftlichen Nachwuchs so großzügig
fördern. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Lambert Schmithausen,
der meine Arbeit für diese Auszeichnung vorgeschlagen hat,
sowie meinen Betreuern: Dem verstorbenen Prof. Albrecht Noth,
der den Anstoß zu dieser Arbeit gab, ihren Abschluss jedoch
leider nicht mehr erleben durfte, ebenso wie Herrn Prof. Harald
Motzki und Herrn Prof. Gernot Rotter, die selbstlos die Betreuung
dieser Arbeit übernommen haben und mir jederzeit mit Rat
und Tat zur Seite standen.
Sehr verehrtes Ehepaar Greve, als Ihr Motto lässt sich der
Satz finden, "Nichts ist schöner, als andere Menschen
fröhlich zu machen."
Das ist Ihnen heute gelungen.
Herzlichen Dank.