Peter Huber
Naturforschung und Meßkunst
Spuren Goethescher Denkart in der frühen Quantentheorie

Jahrgang 18, Heft 2, 30 Seiten, kart., (ISBN 3-525-86304-7), € 7,90.

Daß JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749-1832) die deutsche Literatur um manche Schätze bereichert hat, steht außer Frage. Mit gleicher Hingabe widmete er sich den Naturwissenschaften, in denen ihm - namentlich in der Biologie aber auch in anderen Disziplinen - Einsichten von bleibendem Wert gelangen. Dies gilt jedoch nur bedingt für seine Arbeiten auf jenem Gebiet, dem er sich mit besonderem Eifer zuwandte, nämlich der Physik. Seine Naturbetrachtung gründete auf einer Subjekt-Objekt-Interaktion, die im Bereich der experimentellen Naturkunde auf eine Integration des Beobachters in den Versuchsaufbau hinauslief. Die so gewonnenen Erkenntnisse eigneten sich aufgrund ihres subjektiven Gehalts kaum für eine Quantifizierung. Die Wendung zur Mathematik und die dadurch bedingte Beschränkung auf meßbare Phänomene beschied der Physik des 19. Jahrhunderts enorme Erfolge und brachte Goethes naturphilosophische Position ins Abseits.
Die moderne Physik unterscheidet sich von der klassischen durch die Entdeckung der grundlegenden Relevanz des Meßproblems und dem Bewußtsein seiner Ungelöstheit bzw. Unlösbarkeit. Es zeigt sich, daß die Quantenphysiker der ersten Generation bei ihrem Erklärungsversuch der Quantenphänomene ("Kopenhagener Deutung") eine Wiederannäherung an eine Goethesche Naturkonzeption vollzogen - nicht etwa im Sinne einer Adaption veralteter Vorstellungen, sondern indem sie Goethes Begrifflichkeit revidierten und sie so für Neuentwicklungen in der Quantenphysik verfügbar machten. Dies schien insofern geboten, als die klassische Physik zunächst kein Instrumentarium zur erkenntnistheoretischen und ontologischen Beschreibung der neuartigen Phänomene anbieten konnte. In der vorliegenden Studie werden die vier konstitutiven Merkmale der "Kopenhagener Interpretation" (Komplimentarität, statistische Deutung, Begriff des Phänomens, Subjekt-Objekt-Relation) auf ihre Goetheschen Wurzeln hin untersucht.