Würdigung und Danksagung

Auf Vorschlag der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften verleiht die
DR. HELMUT UND HANNELORE GREVE STIFTUNG
FÜR WISSENSCHAFTEN UND KULTUR
den Förderpreis an
Frau Dr. rer. nat. Beate Ceranski
Historisches Institut, Abteilung für Geschichte der Naturwissenschaften und Technik, Universität Stuttgart

Frau Dr. Ceranski studierte von 1985 bis 1990 Mathematik, Physik und Erziehungswissenschaften in Bonn und legte dort 1991 das Staatsexamen mit einer wissenschaftlichen Hausarbeit in Experimentalphysik ab. Sie promovierte im Frühjahr 1995 an der Universität Hamburg im Fach „Geschichte der Naturwissenschaften" als Stipendiatin des Graduiertenkollegs „Griechische und byzantinische Textüberlieferung, Wissenschaftsgeschichte, Humanismusforschung und Neulatein". Ihrer mit „summa cum laude" beurteilten Dissertation über Leben und Werk der einzigen Physikprofessorin Europas im 18. Jahrhundert gab sie den Titel: „,Und sie fürchtet sich vor niemandem’ – Die Bologneser Physikerin Laura Bassi (1711 bis 1778)". Seit dem Sommersemester 1995 ist sie wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaften und Technik der Universität Stuttgart.
Die scharfsinnig und einfühlsam rekonstruierte Lebens- und Wirkungsgeschichte Bassis ist ein Musterbeispiel dafür, wie naturwissenschaftliche Texte mit derselben Sorgfalt und Eindringlichkeit wie literarische Dokumente interpretiert werden können. Als „kontextuelle Biographie" bezieht sie gesellschafts-, mentalitäts-, frauen-, institutionen- und wissenschaftsgeschichtliche Entwicklungen mit ein und trägt so auch viel zum Verständnis der Wissenschaftsentwicklung Bolognas im 18. Jahrhundert bei.
Frau Ceranski entwickelte ein Konzept verschiedener „Sphären" – Gruppen von Men-schen, die durch gemeinsame Interessen, Aufgaben, Normen oder Werte sowie spezifische Interaktionsmuster miteinander in Beziehung stehen –, um auch komplexe Abläufe in Bassis Biographie deuten zu können. Sie arbeitete heraus, wie „Geschlecht" in diesen Sphären jeweils unterschiedlich konstituiert wurde und wie damit verschiedene Frauenrollen nebeneinander bestanden, die eine gewisse Wahlmöglichkeit boten. Dieses methodische Konzept eröffnet zugleich den Weg für weitere komparative Studien zur wissenschaftshistorischen Frauen- und Geschlechterforschung.

Hamburg, den 24. November 1995

(Dr. Helmut Greve) (Hannelore Greve)
Stiftungsvorstand

 

Danksagung von Dr. rer. nat. BEATE CERANSKI

Verehrtes Ehepaar Greve, sehr geehrter Herr Präsident, lieber Herr Professor Scriba, lieber Herr Professor Kleinert, meine Damen und Herren!

„Und sie fürchtet sich vor niemandem" – dieser Ausspruch des bolognesischen Literaten und Intellektuellen Giampietro Zanotti über die 20 jährige Laura Bassi ist für mich zu einer so treffenden Charakterisierung geworden, daß er schließlich den Titel meiner Dissertation geprägt hat.
Laura Bassi bildet für die Wissenschaftsgeschichte allein schon von den ganz oberflächlichen Daten her einen faszinierenden Forschungsgegenstand, hat sie doch, als Europas erste Professorin der Neuzeit, eine für eine Frau absolut ungewöhnliche Karriere gemacht, und das im Herzen des Kirchenstaates im 18. Jahrhundert – in einer Zeit, als Frauen durch die neuen wissenschaftlichen Institutionen eher ausgeschlossen denn gefördert wurden: Sie war, als sie 1778 im Alter von 66 Jahren starb, zweifache Professorin, Inhaberin einer bezahlten Aka-demiestelle, Forscherin und Lehrerin einer ganzen Generation oberitalienischer Naturwissenschaftler, Ehefrau und Mutter von fünf Kindern; sie hatte vor Kaiser Joseph II. experimentiert und unzählige Male öffentliche Disputationen abgehalten; sie war die Identifikationsfigur schlechthin für die bolognesische Experimentalphysik wie auch für die städtische Wissenschaftskultur überhaupt – und sie war bis zum Lebensende begeisterte Physikerin.
Diese außergewöhnliche Karriere war zu einem großen Teil, wie meine Dissertation gezeigt hat, gerade in einem kleinen Stadtstaat im Herzen des Kirchenstaates mit päpstlicher Patronage möglich. Mit 20 Jahren wurde Bassi nach ihren ersten brillanten Auftritten in philosophischen Disputationen von der Stadt, die um ihren verlorenen Ruhm in der gelehrten Welt kämpfte, zur „Bologneser Minerva", zur Verkörperung von Gelehrsamkeit, stilisiert. Diese Rolle allerdings war – inklusive der damit verbundenen Professur – eine bloß repräsentierende; an Bassi als Lehrerin, geschweige denn naturphilosophische Forscherin dachte man keinen Augenblick.
Es ist ein Zeugnis für Bassis Furchtlosigkeit – und diplomatisches Geschick – daß sie die Begrenzungen dieser Rolle nicht akzeptierte, sondern allmählich ausweitete und veränderte auf ein Leben als aktive Physikerin hin. Dabei scheute sie weder einen ernsten Konflikt mit ihrem Lehrer noch den zähen Kampf um eine Stelle oder gegen Übervorteilung durch Kollegen. Gleichzeitig aber erhielt sie Unterstützung – von „modern" eingestellten anderen bolognesischen Wissenschaftlern, die Bassis Begabung für die Physik nutzbar machen und nicht an die scholastische Philosophie verschwendet sehen wollten. Ähnlich dachte auch der lokale Erzbischof, der Bassi 13 Jahre später, mittlerweile zum Papst gewählt, eine der von ihm gestifteten Stellen an der Akademie gab. Die Verbindung von wissenschaftlicher Tätigkeit und Familienleben wäre nicht denkbar gewesen ohne ihren Ehemann, einen bolognesischen Medizinprofessor und begeisterten Amateur-Physiker, der Bassis wissenschaftliche Tätigkeit nachdrücklich und loyal unterstützte. Dabei war gerade die Heirat Bassis in der bolognesischen Öffentlichkeit durchaus kritisiert worden, da sie in das sorgsam stilisierte Bild der gelehrten Jungfräulichkeit (Minerva!) nicht passte.
Sie ahnen, so hoffe ich, schon aus diesen wenigen Skizzen: die Biographie und Karriere Bassis ist unendlich dicht mit dem Hintergrund verwoben, mit der Bologneser Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Dabei waren überlieferte Geschlechtsrollenzuschreibungen für Bassi oft genug hinderlich, gelegentlich aber auch förderlich, und manchmal – selten – auch völlig unwichtig.
Einen theoretischen Ansatz zu entwickeln, der diese Verflechtungen aufzuspüren erlaubte; die Biographie Bassis – in ihrer Einzigartigkeit, aber auch in dem Zeittypischen – zum Leben zu erwecken; die Spuren Bassis zu verfolgen, das alles war ein über die Maßen spannendes und lohnendes Unterfangen. Und Spuren hat Bassi nicht nur in Bologna hinterlassen, sondern darüber hinaus gerade auch in den Leben anderer Frauen, denen sie zur Identifikationsfigur und zum Vorbild wurde. Um es mit den Worten der zeitgenössischen Dichterin Christiane Marianne von Ziegler zu sagen:

Schmückt ihren Lehrstuhl tief gebückt,
und setzet euch zu ihren Füßen...
Und habt ihr einst durch Fleiß und Müh
Minervens Heiligthum erstiegen;
So sprecht: Der Bassi kluger Kiel ...
Gab uns die Kraft dahin zu fliegen.

Christiane Marianne von Ziegler hätte, so denke ich mir, der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften zur Auszeichnung einer Arbeit über Bassi wohl gratuliert. An mir hingegen ist es, von Herzen zu danken.

weitere Preisträger